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Persönlicher Kommentar

Zur BSW-Parteigründung

Sahra Wagenknecht gründet ihre Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“ und präsentiert medienwirksam den Inhalt und Markenkern von BSW: Sahra Wagenknecht. Zur Europawahl wird das vorerst reichen. Zu den Landtagswahlen im September braucht es aber mehr: Inhalte! Die klaut sie sich sehr wahrscheinlich kurz vorher von der Konkurrenz.

Nun ist es also offiziell, aber Überraschungen gibt es keine. Der Blick zurück ist ein Nachtritt, um mit ehemaligen Genossen abzurechnen. Das wundert nicht, weil der Blick nach vorn noch immer vernebelt im Verborgenen liegt. BSW will zur Europawahl in 4 Monaten antreten, hat aber noch immer kein EU-Wahlprogramm. Da musste Frau Wagenknecht erst einmal ordentlich Dampf ablassen, weil der Rest der Partei und des Parlaments in den letzten 3 Jahrzehnten nicht so wollte wie sie http://www.glasnost.de/pol/wagen.html

Die Vermutung liegt nahe, dass sie gleichzeitig auch für Oskar Lafontaine die Dampfablasserin war. Lafontaine hat in den letzten 30 Jahren auch nicht das bekommen was er wollte. Sein WASG-Projekt scheiterte, die erfolgreiche Abspaltung von der SPD misslang. Nun muss es also die Ehefrau richten. Weder ist es überraschend, dass Mandatsträger mit SPD-Parteibuch zum BSW überlaufen, noch, dass langjährige Linke-Mitglieder es offenbar sehr schwer haben, im Bündnis aufgenommen zu werden. Sahra Wagenknecht will ihre kommunistischen Phantasien aus der Vergangenheit heimlich, still und leise ungeschehen machen und muss sich dafür abgrenzen. Mit langjährigen Linke (PDS/SED)-Mitgliedern geht das nicht so einfach, mit Frustrierten aus der SPD dafür umso besser. Natürlich hat auch hier der Oskar etwas mitzureden. Noch interessanter wird es, wenn wir nach Thüringen blicken – hier ist die SPD politisch nämlich so gut wie tot. Einstellige Ergebnisse bei Umfragen – und zwar näher an der 5%-Hürde als an den 10% - sind keine gute Voraussetzung bei der nächsten Landtagswahl. Sahra Wagenknecht wird daher im frustriert-hoffnungslosen SPD-Lager ordentlich die Werbetrommel rühren.

Für die politische Debattenkultur kann es eigentlich nur bergauf gehen. Je mehr Parteien zur Auswahl stehen, desto intensiver muss sich der Parteivorsitz auch mit Inhalten beschäftigen. Da haben aus meiner Sicht in den letzten 10 Jahren alle „etablierten“ Parteien auf ganzer Linie versagt. Politiker lebten viel zu sehr in ihrer eigenen Blase, anstatt sich mit den wirklichen Problemen dieses Landes zu befassen. Dabei beziehe ich mich ausschließlich auf die Hauptamtlichen und nicht die ehrenamtlich Tätigen in Stadt- und Gemeinderäten. Hier wie dort sind für Parteimitglieder auf kommunaler Ebene die Entscheidungen in Berlin und Erfurt sehr oft nicht nachvollziehbar. Aus diesem Grund strebt die ÖDP seit langem ein System „direkter Demokratie“ an, wo Entscheidungen an der Basis – in den Kommunen und Gemeinden – nach oben weitergegeben werden. „Grassroot“-Democracy  ist eine Form der Demokratie, die mit dem Wahlspruch „Wir sind das Volk“ beschrieben werden kann.

Sahra Wagenknecht ist keine Person, die die DDR hasste. Das Gegenteil ist der Fall: kurz vor Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus musste sie unbedingt noch SED-Mitglied werden. Es hat sich offensichtlich herumgesprochen, dass man als „Parteimitglied“ in der DDR immer weich fällt, selbst wenn es anders kommt als gewollt. Das haben Diktaturen eben eigentümlicher Weise so an sich. NSDAP-Mitglieder sind nach 1945 vielfach auch „weich“ aufgefangen worden in einer westdeutschen Partei. Im Jahr 2024 lebt keiner dieser ehemaligen Mitglieder mehr, was man von ehemaligen SED-Mitgliedern aber nicht behaupten kann. Zum unausweichlichen Sturz des DDR-Regimes haben seit den frühen 80er Jahren auch zahlreiche oppositionelle Umweltgruppen beigetragen, die der Staatsmacht jedoch immer ein Dorn im Auge waren. In den frühen 80ern war es noch illusorisch, an ein Ende der DDR zu glauben, aber man wollte sich keineswegs länger mit den umweltbelastenden Zuständen im DDR-Staatsgebiet arrangieren. Sahra Wagenknecht ist offenbar nicht im „Chemiedreieck“ Leuna-Bitterfeld-Wolfen, ebenso wenig in Dörfern rund um den Braunkohle- und Uranabbau aufgewachsen. Sahra Wagenknecht hat ganz offensichtlich in ihrer eigenen kleinen „heilen“ DDR-und Nachwende-Blase gelebt und die Proteste und Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 sogar als „Konterrevolution“ gegen die DDR-Staatsführung kritisiert. Demonstrationen gegen Umweltverschmutzung und Arbeitsbedingungen brachten im Juni 1953 auch schon Walter Ulbricht in den Leuna-Werken dazu, von einer „Konterrevolution“ zu sprechen. Den Volksmund „Bitterfeld, Bitterfeld, wo der Dreck vom Himmel fällt“ hat Frau Wagenknecht offenbar aus ihren Erinnerungen vollständig ausradiert. Deswegen überrascht auch der Hass der BSW-Politikerin auf die „Grünen“ nicht. Das Bündnis Sahra Wagenknecht wird der Umwelt noch mehr schaden, als die aktuelle Regierung – als späte Rache an den Umweltaktivisten der 80er, die ihr sozialistisches Heimatland „konterrevolutionär“  zu Fall brachten? Um es klarzustellen: ÖDP und B90/Grüne werden niemals Freunde werden und sind es auch nie gewesen – aber es braucht im Politikbetrieb eben auch mehr als „Hass“ auf eine Partei um sie als politischen „Feind“ zu deklarieren wie Sahra Wagenknecht es tut. Am ehesten zeigt sich „Politik mit Inhalt“ dann, wenn eine Partei mit konkreten Fragen konfrontiert wird:

Als ÖDP-Mitglied hätte ich also ein paar Fragen an Frau Wagenknecht:

  • Soll in Deutschland wieder ein Atomreaktor gebaut werden, der CO²-freie Energie produziert und wenn ja, wo soll er stehen?
  • Sollte auch Thüringen ein eigenes CO²-neutrales Kernkraftwerk besitzen um energieautark zu werden und wenn ja, wo soll es stehen?
  • Welche Bauzeit wird das BSW einplanen für ein Atomkraftwerk wenn man bedenkt, dass der Berliner Hauptstadtflughafen erst mit mehr als 10 Jahren Verspätung fertiggestellt wurde?
  • Wer soll das Atomkraftwerk bauen wenn man bedenkt, dass wir nicht einmal genug Fachkräfte für Bildung, Pflege, Justiz, Verwaltung und innere Sicherheit haben?
  • Würden Sie, geehrte Frau Wagenknecht, ein Bürgerbegehren eines lokalen Bündnisses gegen dieses Kernkraftwerk akzeptieren oder würde der Neubau eines Reaktors von BSW als „nationale Notwendigkeit“ eingestuft werden?
  • Würden Sie, Frau Wagenknecht, Atomenergie auch ins Ausland exportieren, wenn es dafür eine hohe Nachfrage gibt?
  • Was würden Sie tun, wenn der russische Präsident Ihnen das Angebot macht, einen dreifach höheren Preis als die Konkurrenz zu zahlen? (Glück für Sie, Frau Wagenknecht: Wladimir Putin wird den Bau eines deutschen Atomkraftwerkes nicht überleben, bis dahin hat ihn das Zeitliche gesegnet!)
  • Welche Meinung haben Sie bzw. das BSW zur EU-Debatte um „Gentechnik“?
  • Auf welcher Bauernseite stehen Sie, Frau Wagenknecht: auf der Seite der Großbauern (vertreten durch den Deutschen Bauernverband), oder auf der Seite der mittelständischen und Kleinbauern (vertreten durch die AbL, SoLaWi und „Freie Bauern“)?
  • Was ist Ihre Meinung zu Industrieansiedlungen auf und in der Nähe von Ackerland und Wohnbebauung, wenn der Investor das unbedingt wünscht, darin eine „Wachstumschance“ für sein Unternehmen sieht, aber die Anwohner diese Ansiedlungsbestrebungen dennoch nicht akzeptieren wollen?
  • Was ist Ihre Meinung zu E-Mobilität im Allgemeinen und EU-Subventionen für Chipfabriken für E-Mobile im Besonderen?
  • Was ist Ihre Meinung zur deutschen „Staatsräson“?

Tipp von einem ÖDP-Mitglied: man kann zu allem eine Meinung haben, man muss sie aber auch begründen können. Wir freuen uns daher sehr, mit Ihnen und Ihren Gefolgsleuten bis zur Landtagswahl im September in Meinungsaustausch zu kommen. Bitte machen Sie nicht den Fehler wie die AfD, ihren Wählern und Sympathisanten Dinge zu versprechen aber schlüssige Konzepte vorzuenthalten. Da Sie als offiziellen Hauptgrund ihrer BSW-Gründung angegeben haben, der AfD Wähler entreißen zu wollen, dürfen wir Thüringerinnen und Thüringer alsbald auch mit der Beantwortung der oben gestellten Fragen rechnen, inklusive fundierter Begründung. DAS würde sie tatsächlich von der AfD trennen. Ansonsten sehe ich im Personenkult Ihrer neuen Partei und dem Vorenthalten eines soliden Parteiprogrammes mehr Gemeinsamkeiten mit der AfD als Trennendes von ihr. Unterschätzen Sie bitte nicht das Wahlvolk, denn das Volk sind auch immer noch wir von der ÖDP. Veränderungen in der Gesellschaft werden immer in deren Mitte durchgesetzt, nicht an deren Rändern. Vor diesem Hintergrund ist auch endlich der Rechtsruck einer Linksextremistin zu verstehen.

Autor/in:
Karolin Zinkeisen
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Wichtiger Hinweis:
Blogbeiträge stellen die persönliche Meinung einzelner Parteimitglieder dar. Diese kann in Einzelfällen von der Programmlage der Partei abweichend sein. Auch ist es möglich, dass zu einzelnen Themen und Aspekten in der ÖDP noch keine Programmlage existiert.