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Aktion / Bericht

Folgen des Wachstumswahns – „Grünes Herz“ Deutschland erlebt keine Wertschätzung mehr durch R2G

Exponentielles versus regeneratives Wachstum: Wird das intransparente Verfahren und die beschleunigte Ansiedlung von Tesla in Brandenburg nun im ostthüringischen Gera mit Sungeel kopiert?

Earth Strike Demo

Earth Strike Demo - Foto: ÖDP / Markus Raschke

Wenn es nach dem SPD-geführten Wirtschaftsministerium geht, dann sollten wir Thüringerinnen und Thüringer nicht mehr im „grünen Herzen“ leben dürfen, sondern müssen unser Bundesland erst entdecken. Der neue und sehr umstrittene R2G-Werbeslogan „Thüringen entdecken“ gilt zudem allem Anschein nach nicht für die hier lebende Bevölkerung zur Naherholung, Kulturinteressierten, und auswärtigen Touristen auf der Suche nach Wander- und Urlaubsdomizilen, sondern vorrangig als Werbekampagne für internationale Chemie-und Logistikunternehmen. Zunehmend interessieren sich immer mehr Batteriefabriken für den europäischen Wachstumsmarkt und damit rückt auch Thüringen verstärkt in den Fokus der ostasiatischen Umweltsünder.

Diese ausschließlich am schnellen Wachstum orientierten Großkonzerne sollen offenbar nach Plänen unserer Landesregierung vorrangig entlang der Thüringer Städtekette von Eisenach bis Altenburg ihre sogenannten Gigafactories errichten können – selbstverständlich ohne lange bürokratische Hürden für die Investoren. Als Standort mit „Zukunft“ ist nun Gera ausgewählt worden, nachdem das Unternehmen Sungeel bereits aus Rudolstadt wegen massiven Bürgerprotesten flüchten musste. Das Unternehmen selbst gibt an, am gewünschten Standort keinen städtischen Bebauungsplan vorgefunden zu haben. Anders interpretiert, geht es Sungeel um eine möglichst sehr schnelle Baugenehmigung ohne große Hürden und langwierige Entscheidungen im Stadtrat. Dazu passt, dass Sungeel im Vorfeld einen Grundsatzbeschluss des Geraer Stadtrates „erzwang“, um seine Ansiedelungsbestrebungen zu untermauern, denn für den Standort liegt bereits ein Bebauungsplan vor.  Doch nun kommt es auch in Gera immer öfter und immer entschiedener zu öffentlichem Protest, welcher von der im September gegründeten Bürgerinitiative Cretzschwitz initiiert und koordiniert wird. https://bi-gera-cretzschwitz.de

Bürgerdialog mit SunGeel in Gera-Aga

Am Freitag, 20. Oktober 2023, lud Sungeel zu einem öffentlichen Bürgerdialog in den Geraer Norden ein. Die ÖDP-Regionalvorsitzende für Ostthüringen, Karolin Zinkeisen, mischte sich unter die etwa 300 Besucher im größten Raum des IHK-Bildungszentrums Aga und registrierte eine sehr angespannte und aufgeheizte Stimmung im vollbesetzten Saal, wo schätzungsweise die Hälfte der Besucher einen Stehplatz im hinteren Bereich akzeptieren musste. Gleichzeitig demonstrierte die Bürgerinitiative Cretzschwitz mit mehreren hundert Teilnehmern vor den Toren des Bildungszentrums mit Megafon, Trillerpfeifen und Petitionsschreiben. Die Wut und der Frust der Mehrheit der Bürger im Saal entlud sich nach etwa 45 Minuten, nachdem es sich augenscheinlich um eine PowerPoint-Unternehmensvorstellung von Sungeel handelte. Viele Anwesende waren der Meinung, das Unternehmen wolle mit seinem langatmigen „Monolog“ Zeit schinden und den „Dialog“ mit den Bürgern verkürzen. Folglich verließen nach wenigen Frage-Antwort-Dialogen mindestens die Hälfte der Besucherinnen den Saal und schlossen sich wieder der demonstrierenden Bürgerinitiative an, die zwischenzeitlich lautstark den Innenhof belagerte. Die noch im Saal verbliebenden stehenden Zuhörer hatten nun die Möglichkeit, auf den freiwerdenden Sitzen den „Dialog“ weiter zu verfolgen. Mit nunmehr größerem Sichtradius stellte die ÖDP-Vorsitzende fest, dass einige Stadträte anwesend waren und die Verwaltungsspitze um den OB Julian Vonarb. Der Klimaschutzbeauftragte und der Umweltamtsleiter waren offensichtlich nicht eingeladen worden, was für Geraer Verhältnisse aber nur folgerichtig ist. Den zweifelsohne wichtigen und zum Teil sehr fundierten Fragestellungen einzelner Bürger wurde nicht immer mit fundierten Antworten seitens Sungeel begegnet. Diese größtenteils auf den Herstellungs- und Produktionsprozess und ihre damit verbundenen Umweltauswirkungen beschränkten Fragen brachten jedoch zu keiner Zeit das grundsätzliche Problem zum Ausdruck, welches die ÖDP generell in der Ansiedlungsoffensive von Batteriewerken sieht, denn die rot-rot-grüne Landesregierung verkennt ganz offensichtlich die tatsächliche wirtschaftliche Situation: der „Zukunftsmarkt Batteriefabrik“ in Europa ist bereits jetzt völlig übersättigt und aufgebläht, es gibt bis zum Jahr 2030 Überkapazitäten von insgesamt 40 geplanten oder bereits gebauten Produktionsstandorten auf dem europäischen Kontinent und es werden sehr wahrscheinlich in den nächsten Jahren bis zur Hälfte dieser Standorte wegen Unwirtschaftlichkeit abgewickelt werden – und das, obwohl „Batterie-Recycling“ doch eigentlich einen Wachstumsmarkt darstellen soll.

globale Förderung von Lithium kommt dem Bedarf der „Wachstumsindustrie“ nicht nach und hinterlässt ökologische Schäden an Ökosystemen weltweit
Auch wenn „Wasserstoff“ sich für den Individualverkehr wirtschaftlich nicht rechnet aber für den ÖPV (Busse, Bahnen, Flugzeuge) für die Zukunft weiter interessant bleibt, hat die Industrie lange Zeit aufgehört, nach Alternativen zur „Batterie“ zu forschen. Das rächt sich nun in Kriegs- und Krisenzeiten und immer höherer Abhängigkeit von China.  Zwar soll nun auch die Batterieforschung am Standort Arnstadt weiter ausgebaut werden, doch ist das Industrie- und Gewerbegebiet am Erfurter Kreuz jetzt schon der größte Standort in Westeuropa, wo Lithium-Ionen-Batteriezellen für hunderttausende Elektroautos hergestellt werden. „Damit sei eine Jahresproduktion von etwa 30 Millionen Batteriezellen möglich“ (MDR, 26.01.23). Wenn man bedenkt, dass die Lebensdauer eines Akkus in einem Elektromobil maximal 6 bis 8 Jahre anhält aufgrund des hohen Verschleißfaktors einer Lithium-Ionen-Batterie (LIB), wenn man zudem bedenkt, dass für ein einzelnes E-Auto zwischen schätzungsweise 8 und 22 kg Lithium benötigt werden (Fraunhofer), und für 15 Millionen E-Autos bis 2030 allein in Deutschland dafür mindestens 300.000 Tonnen Lithium gebraucht werden, es aktuell aber eine weltweite Förderung von „nur“ 100.000 Tonnen Lithium jährlich gibt, dann versteht man, warum im „Autoland“ Deutschland der Wachstumsdruck und die Bereitschaft so groß sind, auf Kosten von Mensch und Umwelt zu produzieren. Deutschland stellt in dieser „Zukunftsbranche“ aber lediglich Grundstücke und billiges Personal zur Verfügung; Entwicklung, Forschung und Produktion sind mittlerweile fest in asiatischer Hand. Jedoch wird dieser immense Flächenfraß und Raubbau an den hiesigen Ökosystemen mit milliardenschweren EU-Geldern gefördert, der Markt damit künstlich überschwemmt und das Wachstum durch staatliche Subventionen weiter künstlich angekurbelt.  In der EU-Batterierichtlinie 2006/66/EC wird der Herstellungs- und Recyclingprozess reglementiert, allerdings ist über die Wirtschaftlichkeit des Recyclings von LIB aus dem Fahrzeugbereich derzeit wenig bekannt. Und weiter: „Das eigentliche Zellrecycling erfordert deutlich komplexere Prozesse, zu welchen derzeit keine Kostendaten der Industrie vorliegen. […] Auch Daten zur Umweltbewertung der Recyclingprozesse liegen nur sehr begrenzt vor. Aktuell verfügbare Bewertungen zeigen einen Vorteil des Recyclings bezüglich des Treibhausgaspotentials, basieren jedoch zum Teil auf Daten im Labormaßstab“ (ebd.) Lithium ist neben Kobalt der wertvollste Rohstoff in einer Batterie, bringt aber Schwierigkeiten und eine enorme Umweltbelastung in den Regionen mit sich, wo es unterirdisch lagert. Für die Herstellung von einer Tonne Lithiumsalz werden zwei Millionen Liter Wasser benötigt. Und das in einer der trockensten Gegenden der Erde. Für die vom Abbau betroffenen Regionen ist die Lithiumgewinnung ein ökologisches Desaster. Einmal in den Batterien, kann es auch nicht so einfach umweltverträglich abgebaut werden – im Gegenteil: gelangt es ins Trinkwasser, wird damit einer amerikanischen Studie zufolge die Gefahr erhöht, dass Kinder später an Autismus leiden. Die Forschung fand in Dänemark statt, wo der Lithiumgehalt in Trinkwasser zwischen 0,6 und 30 Mikrogramm pro Liter variierte. In Deutschland muss das Wasser nicht auf Lithium untersucht werden – es gibt keine offiziellen Grenzwerte, allerdings variiert der Lithiumgehalt in Trinkwasser auch hierzulande regional sehr stark. Auch wenn neue Forschungsansätze zur Lithiumgewinnung Anlass zur Hoffnung geben, dass der Abbau und die Förderung mit sehr viel weniger Fläche und Umweltbelastung einhergehen, braucht es dafür noch viele weitere Jahre, bis der Rohstoff umweltverträglicher und effizienter abgebaut werden kann. Bis dahin stellt sich weiterhin die Frage, in Anbetracht der vielen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Risiken und enormen Umweltbelastungen:

Welchen Vorteil hat Gera von der Ansiedlung der Batterierecyclinganlage in Cretzschwitz gegenüber anderen Kommunen?

Ganz klar: keinen einzigen! Für die ÖDP Ostthüringen ist es ein schlechter Witz wenn behauptet wird, das Unternehmen schaffe 100 Arbeitsplätze. Denn diese müssten aufgrund der hohen Automatisierungsrate bereits gut qualifiziert sein. Gera hat in diesem Industriesegment höchstwahrscheinlich keine qualifizierten (erwerbslosen) Facharbeiter. CATL hat zu Beginn seiner Produktion am Erfurter Kreuz hauptsächlich Chinesen beschäftigt; erst nach und nach wurden deutsche Arbeitnehmer nachqualifiziert. Generell gibt es ein Überangebot an Produktionsstätten und eine Unterversorgung mit gut ausgebildetem Personal. Europaweit wird nach Mitarbeitern gesucht – andernfalls werden sie aus Asien eingeflogen. Ähnlich wie bei Amazon stellt sich die Frage, ob nicht die Unternehmen selbst in weit größerem Maße von den Ansiedlungen profitieren als die Kommunen und ihre Einwohner. Letztere zahlen einen sehr hohen Preis ohne wirklich zu wissen, worauf sie sich einlassen. Die Batteriefabriken sind nichts mehr als riesige Chemiebuden, die – wie im Falle der Tesla-Batterieanlage für BMW – nicht selten auch als Lagerhallen beantragt werden um eine schnellere Baugenehmigung zu erhalten. Nach erfolgreicher Genehmigung wird dann von Seiten des Unternehmens ein Antrag auf „Umwidmung“ zur Batteriefabrik gestellt, was einem Schnellgenehmigungsverfahren gleicht. Der SPD-Parteienfilz in Brandenburg hat in den letzten 34 Jahren durch diese Verfahren im Schnelldurchlauf 40 große internationale Firmen rund um Tesla angelockt, die mehr oder weniger eng mit der Gigafactory des E-Autobauers in Verbindung stehen. Doch je mehr große Firmen sich mit billigen Arbeitsplätzen ansiedeln, desto größer werden die Probleme in anderen Bereichen. So gibt es bspw. immer weniger Personal bei Bus- und ÖPNV-Unternehmen, weil diese ehemaligen Beschäftigten in internationalen Speditionsunternehmen allein für Tesla Zulieferarbeiten übernehmen. „Die Logistik ist ein riesiges Problem!“, weiß der Vorsitzende des ÖDP-Landesverbands Brandenburg, Thomas Löb, zu berichten. Die Teslafabrik hat zusätzlich zum Problem des unzureichenden Umwelt - und Bevölkerungsschutzes einen sehr hohen Energieverbrauch, wo 98% der Energienutzung aus fossilen Quellen stammt. Die Bedeutung von „Nachhaltigkeit“ wird mit einem sich mittlerweile völlig abgenutzten Imagebegriff ad absurdum geführt – Geras Bürger werden sich schütteln müssen vor Lachen in Anbetracht des Ansinnens der Stadt Gera, eine Batterierecyclinganlage im ländlichen Norden bauen zu wollen, da 2021 Gera als mittelgroße Stadt sogar für den deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert war:

„Die nominierten Kommunen orientieren sich dabei zunehmend an den Sustainable Development Goals (SDGs) und forcieren Themen wie Klimaschutz, Biodiversität und Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Schlüssel zum Erfolg ist oft die Partizipation aller Akteur/innen."

(Stefan Schulze-Hausmann, Initiator des Deutschen Nachhaltigkeitspreises)

Neben Asbest in Gemäuern, PFAS in Gewässern und Radon aus dem Boden, steigt mit tonnenweise zusätzlicher toxischer Emissionen Gera also zukünftig zum Chemiestandort Thüringens auf.  Wie passt ein energiehungriges Unternehmen mit neun (!!) über 25 Meter hohen Schornsteinen zum 2016 beschlossenen Energie- und Klimaschutzkonzept der Stadt? Fragen über Fragen an eine Stadtverwaltung, die besser nicht mit dem Feuer spielen sollte. Ganz bildlich gesprochen: wenn eine Batterie(recycling)-Anlage erst einmal brennt, dann nützen keine Feuerwehren dieser Welt – die einzige Möglichkeit zur Schadensbegrenzung besteht darin, die gesamte Anlage kontrolliert abbrennen zu lassen. Die Bauruine müsste dann komplett abgerissen und gegebenenfalls an einem neuen Standort wieder aufgebaut werden. Laut der Sprecherin des Unternehmens, Frau Dr. Schröter, hat das Amt für Brand- und Katastrophenschutz der Stadt Gera das Brandschutzkonzept von Sungeel bereits genehmigt. Frage der ÖDP Ostthüringen dazu: Wissen die Kollegen vom Amt, welchen Wert die Installation einer Sprinkleranlage in einer Batteriefabrik überhaupt hat? Offensichtlich verfügen die Kollegen über keinerlei Erfahrung im Brandfall. Auch hierzu liegen in Brandenburg bereits Erfahrungen vor, wie der ÖDP-Vorsitzende Thomas Loeb mitteilte. Die ÖDP Ostthüringen steht daher mit Rückgrat und Haltung als Ansprechpartner und Multiplikator hinter all denjenigen Menschen, die es gar nicht erst zur Baugenehmigung kommen lassen wollen. Wir bestärken die BI Cretzschwitz, weiterhin mit Mut und Ausdauer gegen die geplante Industrieansiedlung vorzugehen und dem allgemeinen Parteien-Unternehmensfilz auf „exponentiellem Wachstumskurs“ die Rote Karte zu zeigen! Die ÖDP Ostthüringen fordert, dass die Stadt Gera als zweitgrößte Kommune Ostthüringens endlich vorangeht und sich auf einen „regenerativen Wachstumspfad“ begibt, der auch als wegweisend für andere Kommunen angesehen werden kann.

https://www.oedp-brandenburg.de/aktuelles/pressemitteilungen/

Quellen:
https://insideevs.de/news/576221/elektroauto-batterien-neue-gigafactories-europa/
https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/gera/batterie-recycling-werk-buergerdialog-100.html
https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/arnstadt-ilmkreis/catl-batterie-akku-elektro-auto-100.html
https://www.isi.fraunhofer.de/content/dam/isi/dokumente/cct/2020/Faktencheck-Batterien-fuer-E-Autos.pdf
https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/gera/faq-batterie-recycling-cretschwitz-lithium-gefaehrlich-100.html
https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pharmazie/erhoeht-lithium-das-autismus-risiko/
https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/medizin/lithium-im-trinkwasser-beguenstigt-autismus-bei-kindern-13377251
https://www.focus.de/gesundheit/news/neue-studie-forscher-warnen-vor-autismus-risiko-durch-leitungswasser_id_191457988.html
https://edison.media/energie/lithium-gewinnung-laeuft-fast-wie-am-schnuerchen/25240414/
https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2023-10/tesla-gruenheide-brandenburg-fabrikausbau-antraege
https://www.nachhaltigkeitsrat.de/projekte/berichtsrahmen-nachhaltige-kommune/
https://kommunal.de/nachhaltigkeitspreis2021

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